Stadtverband Detmold – Der Kommentar: Thüringer Nachlese

War das nun völlig überraschend, verblüffend oder empörend oder sonst was? Wie auch immer die emotionale Reaktion ob der Ereignisse im Thüringer Landtag ausfiel, die Sache war vorhersehbar. Spätestens, als letzten Mittwoch im 3. Wahlgang zum Ministerpräsidenten der FDP-Mann Kemmerich in den Ring stieg, war die Richtung klar. Einzelne Abgeordnete hatten es im Vorfeld befürchtet: Eine halbwegs linke Regierung sollte verhindert werden. Um jeden Preis! Im Mittelpunkt der Putschisten: die kleinste Fraktion, die FDP.

Und das soll ohne Unterstützung der Bundespartei geplant und entschieden worden sein? Der Parteivorsitzende Lindner ist weder Opfer völlig überraschender  Ereignisse, ausgelöst durch eine hinterhältige AfD-Strategie, noch ist er der Retter liberaler Werte, der durch beherztes Eingreifen Schlimmeres verhindern konnte. Er ist Machtpolitiker mit dem Anspruch, alles, auch wenn’s völkisch-nationalistisch daherkommt, für seine Zwecke einzuspannen, zumal das Nationalistische ihm und seiner politischen Ausrichtung so fremd nicht ist. Etwa in Sachen Flüchtlingspolitik und Neoliberalismus ist man sich da durchaus sehr nah. Die Vermutung, dass die Ereignisse im Thüringer Landtag insofern auch Testcharakter hatten, liegt auf der Hand.

Es darf, nein, es muss an dieser Stelle an die braunen Traditionen dieser West-Partei erinnert werden. In der jungen deutschen Bundesrepublik fand der kaum ausrangierte  Naziapparat zumindest der einfachen und mittleren Ebenen rasch wieder Anschluss in Industrie und öffentlichen Ämtern. Auch in den neuen Parteien kam man zusammen. Man kannte sich. Ein besonderes Sammelbecken, vielleicht das Bedeutendste, war neben der CDU die FDP. Einer der bekanntesten FDP-Nazis neben den Leuten des Naumann-Kreises war der Ritterkreuzträger Erich Mende, der dann auch Bundesvorsitzender der Partei wurde. Seine unerträglichen Leugnungen von Wehrmachtsverbrechen sind legendär.

Eine vorübergehende halbwegs freiheitlich orientierte Demokratiephase in der Brandt-Ära wich bald einer repressiven Law-and-Order Ausrichtung noch in den 70er Jahren unter dem damaligen Außenminister und FDP-Vorsitzenden Genscher. Die Partei fand zurück zu alten Wurzeln. Ihr Wechsel in neue Regierungsbeteiligung in den frühen 80er Jahren im Rahmen der rechtskonservativen geistig-moralischen Wende Helmut Kohls war nur logisch. Einzelne weiterhin in gewissen Teilen freiheitlich denkende  FDP-Politiker wie Gerhart Baum waren und sind die Ausnahme in der Partei. Und ein Baum macht noch keinen Wald. Später, besonders unter Westerwelle wuchs die Partei zu der neoliberalen Zugmaschine Deutschlands, marktradikal, machtorientiert und entschieden gegen alles, was links auch nur blinkt. Bürgerlich-freiheitliche Momente in einzelnen Politikfeldern blieben die höchst seltene Ausnahme. Das gilt bis heute, besonders unter dem aktuellen Vorsitzenden Lindner.

Aber wir wollen die üble Rolle der CDU im thüringischen Putschversuch nicht außer Acht lassen. Diese Partei genoss in den östlichen Bundesländern lange Zeit ein großes Vertrauen. Trotz Treuhand und anderen Vorboten demokratiefeindlicher Enteignungsprozesse. Dieses Vertrauen dürfte nunmehr einem Schwund anheimfallen.

 Dabei ist schon seit längerer Zeit zu beobachten, dass Teile der Christdemokraten, keineswegs nur die sogenannte Werteunion, die Annäherung an die AfD suchen. Denn auch hier werden die politischen Schnittstellen größer statt kleiner. Die traditionelle, aktuell aber auch wachsende rechtsnationale Orientierung der östlichen CDU-Verbände führt längst zu beobachtbaren demokratiefeindlichen Erosionserscheinungen. Besonders die Eliten der Partei scheinen bereit, demokratische Gepflogenheiten über Bord zu werfen, wenn es ihren Machtambitionen zu Gute kommt. Man könnte diese Teile der CDU noch recht wohlwollend als Teilzeitdemokraten bezeichnen. Wenn’s sein muss, pfeifen sie auf jegliche Werte. Beim Deal zwischen FDP und AfD standen sie Schmiere, genau wissend, was passieren würde.

Aber es gibt immerhin auch Gutes zu vermerken. Die vielen spontanen Demonstrationen gegen den Putsch, das auch sonst couragierte Auftreten der Zivilgesellschaft hat für derart viel Druck gesorgt, dass alle Putschprotagonisten, außer der AfD natürlich, fast erschrocken zurückgerudert sind.

Was genau das bedeutet, wann und wie Kemmerich z.B. von seinem Amt als Ministerpräsident zurücktritt, wird man sehen. Angekündigt hat er es ja. Auch in Sachen Neueinrichtung wird derzeit ein großes Schmierentheater veranstaltet. Der Gewinner von allem aber steht fest: definitiv die AfD.

Christiane Escher

Lothar Kowelek