Rede zur Zukunft des Kreisaltenheims Echternstraße

Berndt Wobig, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE. im Kreistag Lippe
Redebeiträge im Kreistag

Fraktionsvorsitzender Berndt Wobig auf der Kreistagssitzung am 22. September 2014

Herr Landrat, sehr geehrte Damen und Herren,

Am 17.12.2012 haben wir - das heißt: der Kreistag - hier beschlossen, ein neues Pflegeheim am Klinikum Lippe Lemgo zu errichten.

Im Mai 2013 bat Frau Schäfer, die Vorsitzende des Heimbeirates des Kreisseniorenheimes Echternstraße, uns und alle anderen Fraktionen um Gespräche zu dem Vorhaben.

Herr Dr. Heumann für die CDU, Herr Schieck und wir sind dem Wunsch von Frau Schäfer gefolgt.

Ehrlich gesagt ist uns erst durch dieses Gespräch mit Frau Schäfer die volle Bedeutung des Kreistagsbeschlusses klargeworden: Der Kreistag hat nämlich nicht nur die Errichtung eines neuen Pflegeheimes am Klinikum beschlossen, sondern gleichzeitig die Aufgabe des Pflegeheims in der Echternstraße als Vollpflegeeinrichtung.

Bis dahin sind - nicht nur wir - davon ausgegangen, dass der Neubau nur als Ausweichquartier für die Pflegeheimbewohnerinnen und –bewohner für die Zeit der Sanierung des Standortes Echternstraße geplant sei. In Wirklichkeit haben wir jedoch beschlossen, die Vollpflegeeinrichtung Echternstraße aufzugeben.

Diese damalige Entscheidung hat unseres Erachtens 5 Dimensionen.

1.       Eine baufachliche Dimension

Die Behauptung, dass die Renovierung nicht im laufenden Betrieb durchführbar sei, ist falsch!

Herr Landrat, ich habe vor meinem Studium als Ingenieur im Sanierungsbau gearbeitet. Ich weiß ziemlich genau wovon ich spreche. Wenn man uns Bauleuten die richtige Frage stellt, bekommt man auch befriedigende Antworten. Ihre Leute haben die Frage gestellt, ob die Sanierung des Hauses im laufenden Betrieb möglich sei. Die Antwort hieß: "Nein!"

Die richtige Frage wäre gewesen, wie eine Sanierung im laufenden Betrieb möglich ist. Ich bin sicher, die Antworten wären anders ausgefallen. Wir Bauleute können das nämlich. Sie wissen das auch. Denn das Seniorenheim in Schlangen Oesterholz ist so saniert worden und in einem anderen guten Beispiel sitzen wir gerade.

Niemand wäre auf die Idee gekommen, das Kreishaus zu evakuieren, um den Plenarbereich umzubauen. Eine Tür wird zeitweise geschlossen, ein paar Schallschutzmaßnahmen eingebaut und so geht das prima.

Ich, als früherer Bauingenieur und Berufsschullehrer im Baubereich, versichere, dass jede Baumaßnahme im laufenden Betrieb durchführbar ist.

Sicherlich ist ein nicht unerheblicher Aufwand bei der Durchführung der Bauarbeiten zu betreiben. Auch ist die Situation für die Bewohnerinnen und Bewohner nicht komfortabel. Aber genau hier ist abzuwägen, ob man alten Menschen ihr in der Regel letztes Zuhause nimmt und ein Umzug mit ungewisser Rückkehroption zumutbar ist. An dieser Stelle hat man die Belange und die Befindlichkeit alter Menschen nicht ausreichend beachtet.

2.       Eine politische Dimension

Am 26.8.2014 hat Herr Grabbe im Lemgoer Ausschuss für Wirtschaft und Stadtentwicklung die Pläne des Kreises für die Echternstraße erstmaligvorgestellt und am Dienstag, den 16.9., waren Herr Schwarzer und Frau Ruhe im Sozialausschuss. Die Reaktionen der Politik in Lemgo und der Öffentlichkeit sind Ihnen bekannt. Ich verweise auf den Artikel in der LZ vom 28. August, in dem es heißt: "Politiker kritisieren Zwangsumzug von Senioren." Frau Bauer aus dem Sozialausschuss kann sich kann sich nicht vorstellen, dass Senioren mit Vollpflegebedarf wieder in stationäre Pflege zurückkommen können, Herr Führing von der CDU meint, Senioren würden abgeschoben und Frau Sauerländer, stellvertretende Bürgermeisterin, findet es schon hart und wolle dort auch nicht hin.

Das Naheliegende ist oft das einfachste, manchmal sogar genial. Warum haben Sie, Herr Landrat, Ihre Verwaltung nicht damit beauftragt, vor dem Beschluss von 2012 mal in Lemgo nachzufragen, welche Vorstellungen die Stadt für das Quartier hat? Über die Entwicklung einer solchen Anlage im Herzen der Stadt Lemgo kann nicht ohne die Einbeziehung der Betroffenen Stadt entschieden werden. Auf dieser Basis hätten Sie dann in die Planungen gehen können und diese Planungen mit den Ausschüssen der Stadt koordinieren können. Vorher fragen und die Vorstellungen der Stadt in die eigenen Pläne mit einbauen, wäre die richtige Vorgehensweise gewesen.

Jetzt haben Sie den Salat. Große Teile der Stadt sind empört. 2400 Unterschriften für die Erhaltung des Heimes in seiner derzeitigen Form haben die Bewohnerinnen und Bewohner gesammelt.

3.       Eine gesamtgesellschaftliche Dimension

Inklusion ist das Thema unserer Tage. Inklusion betrifft aber nicht nur junge Menschen und den Bildungsbereich. Sie betrifft alle sozialen und Altersgruppen der Gesellschaft. Sie betrifft also auch und nicht zuletzt die Senioren. Mit dem Beschluss und dem Neubau an der Rintelner Straße schieben Sie die Senioren aus dem Zentrum der Stadt an den Rand der Stadt ab. Gegenwärtig können die Bewohner und Bewohnerinnen allein oder mit ihren Besucherinnen und Besuchern vom Heim direkt auf den Wall gehen und befinden sich zwischen den Menschen mitten im Leben der Stadt. Sie können auch durch einen kurzen Fußweg von 200 m in die Mittelstraße gehen und dort Einkäufe machen oder sich in ein Cafe setzen. Sie sind mitten in der Stadt und mitten im Leben. Ihr Angebot eines Shuttles von der Rintelner Straße in die Stadt können die Bewohnerinnen und Bewohner und auch ich nicht ernst nehmen.

Ihr Vorhaben entspricht nicht dem Sinn und dem Inhalt der von der Bundesrepublik ratifizierten Menschenrechtskonvention UN und damit der Inklusion. Exklusion, also Ausschluss von der gesellschaftliche Teilhabe wäre die richtige Bezeichnung.

4.       Eine rechtliche Dimension

Auf Folie 4 der Power Point Präsentation vom 11.9.2014 im Sozialausschuss des Kreises Lippe sind die Ziele der Heimaufsicht des Kreises Lippe aufgeführt:

  • Schutz der Würde und der Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner
  • Wahrung und Förderung der Selbständigkeit und der Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner
  • Sicherung von Qualität des Wohnens, der Betreuung und Versorgung
  • Sicherung der Einhaltung der dem Betreiber gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten.

Mittlerweile haben Sie vorhin noch einmal unsere Anfrage bestätigt. Nach § 30 Heimmitwirkungsverordnung hat der Heimbeirat Mitwirkungsrecht:

  • Abs 9, bei Änderung der Art und des Zweckes des Heimes oder seiner Teile
  • Abs 10, bei umfassenden baulichen Veränderungen oder Instandsetzungen des Heimes
  • nach § 32 ist der Heimbeirat ausreichend und rechtzeitig zu informieren und nach Möglichkeit fachlich zu beraten und seine Anregungen sind bei der Vorbereitung der Entscheidung einzubeziehen.
  • Entscheidungen hat der Träger rechtzeitig und mit dem Ziel einer Verständigung zu erörtern.

Genau wie die Stadt Lemgo ist der Heimbeirat erst nach der Entscheidung vom 17.12.2012 informiert worden.

Erst im Mai haben Sie, Herr Landrat, sich erstmalig mit dem Heimbeirat getroffen und in diesem Gespräch nur versucht, den Heimbeirat vom Umzug zu überzeugen.

Damit sind die dem Betreiber obliegenden Pflichten nicht eingehalten, sondern grob verletzt worden. Das Recht auf Mitwirkung ist dem Heimbeirat vorenthalten worden. Herr Schwarzer und Frau Ruhe haben im Sozialausschuss der Stadt Lemgo bereits zugestanden, dass kein Mitwirkungsverfahren, wie es nach § 30 der Heimmitwirkungsverordnung gesetzlich vorgeschrieben ist, stattgefunden hat. Herr Schwarze sagte, dass mit den Angehörigen, jedoch wohl nicht mit den Bewohnerinnen und Bewohnern und speziell mit dem Heimbeirat gesprochen wurde.

Gleichzeitig bestätigte er, dass über Gespräche zwischen dem Kreis als Träger der Institution und dem Heimbeirat keine Dokumentation vorhanden ist. Kann auch nicht, da Frau Schäfer über alle Sitzungen des Heimbeirates penibel Protokoll führt. Damit ist auch unsere Anfrage vom Mai diesen Jahres beantwortet, bei der Sie sich ja – ich möchte mal sagen – ein bisschen schwer getan haben. Die Rechtsfolgen sind noch nicht klar. Aber ich möchte mal sehen, wie es in der Öffentlichkeit ankommt, wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, dass der Beschluss des Kreistages über die Schließung des Heimes in der Echternstraße nicht rechtswirksam ist und von der Kommunalaufsicht kassiert wird.

Mir ist davor aber nicht bange. Im Erdgeschoss, wo ja die 12 Betten für Schwerstpflege- und Beatmungspatienten eingerichtet werden, ist ja der Kreis zukünftig auch nur noch Zimmervermittler. Pflege, Geräte und Versorgung überlassen Sie ja den Patienten selbst, die sich diese Dinge selbst zukaufen müssen. Für das 1. und 2. OG fällt Ihnen bestimmt auch eine andere Lösung ein.

5.       Eine menschliche Dimension

Der Beschluss vom Dezember 2012 betrifft Menschen. Menschen, die Vertragspartner sind, Menschen, die Rechte haben, Menschen, die alt und pflegebedürftig sind, Menschen, die in ihrem Leben mehr oder weniger viel für uns alle geleistet haben, und vor allem Menschen, denen man respektvoll zu begegnen hat.

Die Zusicherung einer späteren Rückkehr in die Echternstraße für alle, die das wollen, entlarvt sich bei näherem Hinsehen als nicht wirksame Beruhigungspille. Der Kreis zieht sich aus der Vollpflege am Standort Echternstraße zurück. Also können nicht alle, die das wollen, zurückkehren. Auf Nachfrage wurde im Sozialausschuss in Lemgo durch die Vertretung der Kreissenioreneinrichtung des Kreises erklärt, dass die Kosten in unbestimmter Höhe steigen werden.

Was bieten Sie diesen Menschen mit dem Heim in der Rintelner Straße an?

Wenn ich mir vorstelle, eine der Heimbewohnerinnen schaut im neuen Heim aus dem Fenster. Was sieht sie denn dann?

Auf der einen Seite das Krankenhaus. Dabei denkt sie dann an ihre letzte Operation, denkt an ihre Leiden und fragt sich: "Bin ich denn jetztschon Patientin, oder wann werde ich das nächste Mal Patientin sein. Senioren sind nicht krank, sie sind keine Patienten. Sie sind nur alt und brauchen zum Teil Pflege. Sie sollten von sich nicht als Patienten denken, was der Blick aufs Krankenhaus nahe legt.

Auf der anderen Seite schauen sie auf den Friedhof. Mir fehlen ehrlich gesagt die Worte, um zu beschreiben, wie es einem alten und pflegebedürftigen Menschen bei dieser Aussicht geht. Eins ist mir jedoch klar: Es ist nicht human und ich möchte so etwas nicht erleben.

Respektvoll geht anders:

·         Kümmern wir uns darum, was alte Menschen für Bedürfnisse haben und welche Ängste sie vor dem Verlust ihres angestammten Lebensraumes haben können.

·         Ermöglichen wir ihnen, soweit es ihnen möglich ist, am gesellschaftlichen Leben in der Stadt – und nicht außerhalb – teilnehmen können.

·         Schieben wir sie nicht ab an den Rand der Stadt, zwischen Klinik und Friedhof.

·         Das heißt nicht nur: "Gewähren wir ihnen ihre Rechte." Es bedeutet vor allem: "Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt."

Ich möchte meinen Beitrag abschließen und den Kreis Lippe auffordern:

  • Ziehen Sie die Beschlussvorlage 092/2014 zurück!
  • Fangen Sie mit den Planungen für das Kreisseniorenheim Echternstraße noch einmal von vorne an. Berücksichtigen Sie hierbei alle gerade von mir beschriebenen baufachlichen, politischen, gesellschaftlichen, rechtlichen und menschlichen Belange.
  • Damit ermöglichen Sie den Seniorinnen und Senioren die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Würde.