Stadtverband Detmold – Der Kommentar

Hartz IV – Alles gut!?  Urteil des BVG vom 5.11.2019

Das Bundesverfassungsgericht hat gesprochen. Den Spruch der Richter und seine Bedeutung einzuordnen hinsichtlich möglicher Auswirkungen ist nicht so ganz einfach.

Gut ist, dass in Zukunft voraussichtlich niemand mehr durch eine unmenschliche Vollsanktionierung buchstäblich auf der Straße landen wird. Voll sanktioniert, also nahezu ganz ohne Leistung, waren z.B. im August 2018  ca. 7000 Menschen in Deutschland. Das hat wohl ein Ende. Insofern begrüßen auch wir das Urteil des BVG.

Ansonsten teilen wir die Freude vieler anderer über den Richterspruch nicht so ganz. Denn Sanktionen an sich sind laut BVG auch weiterhin grundsätzlich menschenwürdig. Salopp könnte man sagen: Eins in die Fresse ist erlaubt. Nämlich weiterhin eine Sanktion bis 30 Prozent. Zwei in die Fresse gehört sich nicht. Da macht das höchste deutsche Gericht nicht mehr mit. Es hat insofern lediglich eine Einschränkung vorgenommen. Zu einer Abschaffung von Sanktionen scheint das nicht zu führen. Auch wenn viele das Urteil als Meilenstein zu einer sanktionsfreien Grundsicherung sehen.

Womöglich trifft gar das Gegenteil zu. Ist mit dem Urteil des BVG nicht eine Art Absolution ausgesprochen worden? Also, die Bestätigung, dass die „Parteien der Mitte“ mit ihrem impliziten Generalverdacht zum „Sozial-Hängematten-Missbrauch“ seit fast 15 Jahren das Richtige gemacht haben? Jedenfalls dem Grunde nach. Sie hätten lediglich nicht so übertreiben dürfen.

Demütigung und Willkür in den Jobcentern werden, machen wir uns nichts vor, auf einem niedrigeren Level ihre Fortsetzung finden. Auch in Zukunft wird es Menschen geben, die ihren Anspruch auf Alg II auf 300 Euro reduziert bekommen. Nur, weil sie einen Termin verpasst haben. Oder weil sie sich weigern, zum x-ten Mal an einem Bewerbungstraining teilzunehmen oder gar an einer völlig sinnfreien „beruflichen Fortbildung“ mit Kreuzworträtsel und Kastanienmännchen.

Darüber hinaus sollte niemand vor dem Hintergrund der teilweisen Beendigung von Sanktionen die Augen davor verschließen, dass andere Leistungskürzungen völlig unangetastet bleiben. Etwa bei vermeintlich zu hohen Kosten der Unterkunft, die dann aus dem Regelsatz bezahlt werden müssen.

Abgesehen davon bleibt der Regelsatz mit aktuell 424 Euro und 432 Euro ab 2020 auf einem viel zu niedrigen Level. Eine ausreichende Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben bleibt verschlossen.

Der Spruch des BVG macht Hartz IV nicht plötzlich zu einer guten Sache. Hartz IV bleibt „Armut per Gesetz“. Gefordert wird auch weiterhin Unterwerfung. Gefördert hingegen werden prekäre Jobs und riesige Niedriglohnbereiche. Das ganze Gesetz muss weg!

 

Christiane Escher

Lothar Kowelek

6.11.2019