Stadtverband Detmold – Der Kommentar

Grüne Hoffnung?

Der jüngste Bundesparteitag der Grünen in Bielefeld ist nun auch Geschichte. Was bleibt, sind Beschwörungen von mehr Verantwortung und Hoffnung. Man sieht sich in einer neuen Rolle, will „mitführen“ und allerlei Ähnliches. Die Wahlergebnisse stimmen, trotz einiger Probleme im Osten der Republik. Die mit prallen Mehrheiten wiedergewählten Vorsitzenden demonstrieren Selbstbewusstsein und Geschlossenheit. Inhaltlich gibt’s Bewegung. Ein Mindestlohn von 12 Euro soll her. Selbst die Schuldenbremse wird, wenn auch verhalten, infrage gestellt.

Ist die Grüne Partei nun für linke Wähler attraktiver geworden? Seien wir ehrlich. Nicht wenige von uns haben die Grünen 1998 gewählt. In der Hoffnung, ja Erwartung, auf mehr Gerechtigkeit im Kleinen wie im Großen. Diese Partei war attraktiv, schien einer Fokussierung auf Soziales und Entspannungspolitisches Raum zu geben – um bereits kurz nach der Wahl einem völkerrechtswidrigen Krieg den Segen zu geben (übrigens auch auf einem Parteitag in Bielefeld 1999). Und um noch ein wenig später den unseligen Hartz-Gesetzen und weiterem Sozialabbau zuzustimmen.

Und heute? Schauen wir genauer hin. Die ursprünglich auch der Friedensbewegung entstammende Partei hat bis heute zahlreichen verfassungswidrigen Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt. Auf dem jetzigen Parteitag in Bielefeld warb die neugewählte Vorsitzende Baerbock gar „perspektivisch“ für eine europäische Armee mit strategischer Souveränität. Damit nähert sie sich durchaus den imperialen Ausrichtungs- Forderungen von CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer.

Der Außenpolitische Sprecher der Grünen Omid Nouripour sieht aktuell im Militärputsch in Bolivien gar keinen Putsch. Aus seiner Sicht hat das Militär die richtige Entscheidung getroffen, sich gegen den gewählten Präsidenten Morales zu stellen. Die neoliberal orientierte Organisation Amerikanischer Staaten ist für ihn fern jeglicher Zweifel bei der (nicht belegten) Behauptung von Unregelmäßigkeiten der letzten Wahl. Eine entspannungspolitische Ausrichtung ist den Grünen auch in anderen Zusammenhängen, besonders in Sachen Rußland, eher bemerkenswert fremd.

Ihre Forderungen nach Klimaschutz stehen im Widerspruch zu gelebter grüner Umweltpolitik, siehe z.B. Ausbau Frankfurter Flughafen oderAusbau Kieler Hafen für Fracking-Schiffe oder ihre Zustimmung zur Abholzung des Hambacher Forstes sowie ihr Wandel i.S. Stuttgart 21. Auch sozialpolitisch sind die Grünen oft auf der neoliberalen Seite des Lebens. Typisches Beispiel ist hier das Festhalten an Rentenprivatisierungsformen a la „Bürgerfonds“.

Aber bei aller Kritik, eins muss man den Grünen lassen. Ihnen gelingt inzwischen mit steigendem Erfolg der Spagat zwischen linksliberalen Ansprüchen einerseits und gelebter linksliberaler Realität andererseits. Der demnächst natürlich auf E-Antrieb umsteigende grüne SUV-Fahrer sieht da jedenfalls überhaupt kein Problem. In einer offenen und bunten Gesellschaft muss das ja wohl noch möglich sein. Das dumme beim Spagat ist nur: er steht nicht gerade für den aufrechten Gang und bereitet auf Dauer denn doch Schmerzen. Warten wir’s ab.

 

Christiane Escher

Lothar Kowelek

20.11.2019