Jetzt mit der Antwort: Anschreiben der Kreistagsfraktionen DIE LINKE. und Bündnis 90/Die Grünen an die Kommunalaufsicht

Fraktion DIE LINKE. im Kreistag Lippe

Einhaltung von Recht und Gesetz durch den Kreis Lippe

hier: Vorrang des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) vor der kommunalen Selbstverwaltung

per Boten

Bezirksregierung Detmold

Dezernat 31 - Kommunalaufsicht

z.H. Frau Annette Riesenberg

Leopoldstraße 15

32756 Detmold

annette.riesenberg@brdt.nrw.de

 

Detmold, 20.09.2016

Einhaltung von Recht und Gesetz durch den Kreis Lippe

hier: Vorrang des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) vor der kommunalen Selbstverwaltung

Sehr geehrte Frau Riesenberg,

sehr geehrte Damen und Herren,

Der Kreis Lippe und als Hauptverwaltungsbeamter des Kreises Lippe der Landrat, Herr Dr. Axel Lehmann, ignorieren den Vorrang des Betriebsverfassungsgesetzes (Bundesgesetz) vor der kommunalen Selbstverwaltung. Deshalb leiten Sie bitte umgehend alle Schritte ein, die notwendig sind, damit der Vorrang eines Bundesgesetzes – hier: des Betriebsverfassungsgesetzes - durch den Kreis Lippe respektiert wird.

Es ist besondere Dringlichkeit geboten, weil der Kreistag die Angelegenheit in seiner Sitzung am 26.09.2016 unter TOP 14 behandeln wird.

Sachdarstellung:

Das Arbeitsgericht Detmold hat am 11.05.2016 beschlossen:

„Es wird festgestellt, dass die Errichtung eines Konzernbetriebsrates für die privatrechtlich organisierten Unternehmen des Kreises Lippe, an welchen er mehrheitlich beteiligt ist, am 13.07.2015 zulässig war. Im Übrigen werden die Anträge abgewiesen. Die Wideranträge werden abgewiesen.“

Gegen diesen Beschluss konnten sämtliche Beteiligten (s. Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 11.05.2016 – Aktenzeichen 3 BV 28/14) beim Landesarbeitsgericht Hamm Beschwerde einlegen - innerhalb einer Notfrist von einem Monat.

Der Kreis Lippe, vertreten durch den Landrat, hat gegen den Beschluss keine Beschwerde eingelegt (s. u.a. den Bericht der Lippischen Landes-Zeitung vom 15.09.2016 – „Bessere Form der Mitbestimmung“). Trotzdem möchten der Landrat, Herr Dr. Lehmann, und der Fraktionsvorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion, Herr Henning Welslau, den Konzernbetriebsrat für die die privatrechtlich organisierten Unternehmen des Kreises Lippe (Der Konzernbetriebsrat wurde auf der Grundlage des BetrVG errichtet.) durch eine Gesamtmitarbeitervertretung ablösen (siehe Pressebericht vom 15.09.2016). Das heißt, eine Gesetzesvorgabe des Bundes soll durch eine „Regelung“ des Kreises Lippe ersetzt werden.

Die große Koalition im lippischen Kreistag aus CDU und SPD hat deshalb in der Sitzung des Kreisausschusses am 19.09.2016 den gemeinsamen Antrag der Kreistagsfraktionen DIE LINKE und B`90/DIE GRÜNEN mit der Mehrheit ihrer Stimmen abgelehnt. Für die kommende Kreistagssitzung am 26.09.2016 hat sie ein identisches Abstimmungsverhalten angekündigt.

Der Kreis Lippe ist verpflichtet, in seinen Untergliederungen, z.B. in den privatrechtlich organisierten Unternehmen des Kreises, die Einhaltung von Recht und Gesetz sicherzustellen. Jede Handlung, welche einen Konzernbetriebsrat durch ein - wie auch immer bezeichnetes – rechtloses Mitarbeitergremium ersetzt, ist daher unzulässig. Dass der Kreis kein Interesse an der Fortführung des Gerichtsverfahrens hat und das vorgenannte Urteil des Arbeitsgerichts akzeptiert, wird durch den Verzicht auf eine Beschwerde deutlich. Ein eigenständiges betriebliches Interesse der am Prozess beteiligten Geschäftsführer kann ausgeschlossen werden. Auf der Ebene der Beteiligungen sind die Betriebsräte bzw. der Gesamtbetriebsrat der Klinikum Lippe GmbH die Ansprechpartner der jeweiligen Geschäftsführungen. Der Konzernbetriebsrat agiert hingegen, im Rahmen der Konzernstruktur, auf der übergeordneten Kreisebene. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Beschwerde gegen die vorgenannte Entscheidung nur zu dem Zweck eingelegt wurde, dem Landrat die Vereinbarung eines alternativen „Mitarbeitergremiums“ zu ermöglichen. Auf diese Weise soll ein Bundesgesetz durch eine Handlung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung umgangen werden. Stattdessen hat der Landrat aber geeignete Mittel zu ergreifen, um ein solches rechtswidriges Verhalten zu unterbinden. Eine Weisung an die Vertreter des Kreises in Aufsichtsräten und in den Gesellschafterversammlungen zur Beeinflussung der Geschäftsführungen ist in diesem Fall daher unerlässlich.

Dass der Landrat, Herr Dr. Lehmann, gegen die Einhaltung von Recht und Gesetz „haftungsrechtliche Gründe“ geltend macht, ist juristisch absolut abwegig (siehe Pressebericht vom 15.09.2016):

1.       Die Betriebsräte und der Gesamtbetriebsrat der Klinikum Lippe GmbH, die den Konzernbetriebsrat errichtet haben, wurden auf der Grundlage des BetrVG gewählt bzw. errichtet. Sie haben lediglich mit der Errichtung des Konzernbetriebsrats ihre betriebsverfassungsrechtliche Struktur vervollständigt.

Struktur von Betriebsräten

  • Konzernbetriebsrat, §§ 54 ff. BetrVG, wenn Konzernstruktur vorhanden
  • Gesamtbetriebsrat, § 47 ff. BetrVG, wenn mehrere BR in einem Unternehmen
  • Betriebsrat, § 1 BetrVG, in Betrieben mit i.d.R. mind. 5 AN

Das heißt, wer „haftungsrechtliche Gründe“ gegen den Konzernbetriebsrat vorbringt – was absolut abwegig ist – hätte diese „haftungsrechtlichen Gründe“ konsequenterweise bereits bei der Wahl der Betriebsräte und bei der Errichtung des Gesamtbetriebsrates vorbringen müssen. Alle drei Gremien wurden auf der Grundlage des BetrVG gewählt bzw. errichtet!

2.       Das Betriebsverfassungsgesetz findet Anwendung in allen Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland mit privater Rechtsform. Dies gilt auch dann, wenn sie z.B. durch Aktienbesitz usw. usf. der öffentlichen Hand gehören, oder wenn es sich um Betriebe mit eingeschlossener privater Rechtspersönlichkeit (sogenannte gemischtwirtschaftliche Betriebe) handelt. Ausgeklammert ist der Bereich des öffentlichen Dienstes. Hier gelten das Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) bzw. die Personalvertretungsgesetze der Länder (LPersVG). Dies ergibt sich aus dem § 130 BetrVG (s. § 130 Rn 3 im Handkommentar zum BetrVG v. Fitting-Engels-Schmidt-Trebinger-Linsenmaier, 26. Auflage).

3.       Dass der Kreis Lippe gegenüber seinen privatrechtlich organisierten Unternehmen ein Weisungsrecht hat, ergibt sich unter anderem auf Grund des § 108 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW und des § 113 Abs. 1 GO NRW (vgl. S. 34 u. 35 des Beschlusses vom 11.05.2016). Dies hat die Kommunalaufsicht dem Kreis Lippe auch in der Vergangenheit immer wieder mitgeteilt (siehe z.B. Abs. 3 Seite 2 der Mitteilungsvorlage 102/2012 vom 11.09.2012).

4.       Eine Weisung des Kreistags an die vom Kreistag entsendeten Aufsichtsräte und Gesellschaftervertreter reduziert den Entscheidungsspielraum der Weisungsempfänger auf null. Die Empfänger einer verbindlichen Weisung können sich auf die Weisung berufen, falls Haftungsansprüche gegen sie vorgebracht werden. Eine Weisung des Kreistags kann somit nicht zu Haftungsrisiken führen, sondern sie schließt solche Risiken für die Aufsichtsräte, Gesellschaftervertreter und Geschäftsführungen aus.

Mit freundlichen Grüßen

 

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Ursula Jacob-Reisinger
Fraktionsvorsitzende

 

 

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Werner Loke
Fraktionvorsitzender

 

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i.V. Evelin Menne

stellvertretende Fraktionsvorsitzende

 

 

 Anlagen:

 1.        Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 11.05.2016

 2.        Bericht der Lippischen Landes-Zeitung vom 15.09.2016

 3.        Gemeinsamer Antrag der Kreistagsfraktionen DIE LINKE und B`90/DIE GRÜNEN

 4.        Mitteilungsvorlage 102/2012 vom 11.09.2012

 5.        Einladung zur Kreistagssitzung am 26.09.2016




Antwort der

Bezirksregierung Detmold, 32754 Detmoid
Die Linke.
Bündnis 90/Die Grünen
Fraktionen im Kreistag Lippe
Kreishaus
Felix-Fechenbach-Straße 5
32756 Detmold

Ihr Schreiben vom 20.09.2016

Kommunalaufsichtsrechtliches Einschreiten gegen den Landrat

des Kreises Lippe


Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Ihrem Schreiben vom 20.09.2016 haben Sie mich gebeten, umgehend alle Schritte einzuleiten, damit der Vorrang eines Bundesgesetzes - hier: des Betriebsverfassungsgesetzes - durch den Kreis Lippe respektiert wird.

Ihre Eingabe lege ich dahingehend aus, dass Sie ein kommunalaufsichtsrechtliches Einschreiten im Rahmen der Rechtsaufsicht gemäß § 57 Abs. 1 KreisO NRW i.V.m. §§ 121 ff. GO NRW begehren.

Mit Schreiben vom 26.09.2016 habe ich den Landrat des Kreises Lippe mit Fristsetzung zum 10.10.2016 um Stellungnahme gebeten. Der Bericht des Landrates liegt mir nunmehr vor. Im Einzelnen ergibt sich danach folgendes Bild:

l. Sachverhalt

Mit Beschluss vom 11.05.2016 stellte das Arbeitsgericht — Az. 3 BV 28/14 — im Beschlussverfahren fest, „dass die Errichtung eines Konzernbetriebsrats für die privatrechtlich organisierten Unternehmen des Kreises Lippe, an welcher er mehrheitlich beteiligt ist, am 13.07.2015 zulässig war.“

Gegen diesen Beschluss legten am 14.07.2016 beim Landesarbeitsgericht Hamm mehrere Gesellschaften des Klinikverbundes und der sogenannten vbe-Gruppe, an denen der Kreis beteiligt ist, Beschwerde ein.

Am 07.09.2016 brachten Sie dann gemäß Drcks. 117/2016 zur Beschlussfassung im Kreistag Lippe am 26.09.2016 einen Antrag auf Weisung gerichtet an die Vertreter in den kommunalen Beteiligungen ein, im Wesentlichen mit dem Inhalt, die gegen den o.a. Beschluss eingelegten Beschwerden zurückzunehmen.
Der. Antrag ist ausweislich der Niederschriften des Kreisausschusses vom 19.09.2016, Top 1, Seite 11 und des Kreistages vom 26.09.2016, TOP 13, Seite 14 mehrheitlich abgelehnt worden.

ll. Rechtslage

Nach Prüfung der Sach- und Rechtslage komme ich zu dem Ergebnis, dass eine Verletzung geltenden Rechts nicht erkennbar und somit kommunalaufsichtsrechtliche Maßnahmen nicht geboten sind.

Die Gemeinden und Kreise haben nach dem Grundgesetz und der Landesverfassung das Recht der kommunalen Selbstven/valtung. Das bedeutet, dass sie selbständig und in eigener Verantwortung ihre Entscheidungen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen treffen. Ein kommunalaufsichtsrechtliches Einschreiten könnte daher nur dann geboten sein, wenn der Beschluss des Kreistages vom 26.09.2016, eine nach ä 113 Abs. 1 GO NRW mögliche Weisung zu unterlassen, d.h. wenn das Unterlassen der Weisung zur Rücknahme der Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts, rechtswidrig wäre.
Ein Unterlassen ist rechtswidrig, wenn eine korrespondierende Rechtspflicht zum Handeln besteht.

Eine solche könnte sich zwar grundsätzlich aus einer maßgeblichen, verbindlichen gerichtlichen Entscheidung ergeben. Der in Rede stehende Beschluss des Arbeitsgerichtes Detmold ist aber gerade nicht rechtskräftig geworden. Vielmehr ist das arbeitsgerichtliche Rechtsmittelverfahren noch nicht abgeschlossen.
Das Gebrauchmachen von einem zulässigen Rechtsmittel bewegt sich hier nicht nur im Rahmen der garantierten Spielräume des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, sondern auch im Rahmen rechtsstaatlicher Garantien. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Klärung von komplexen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung geht und prägende obergerichtliche Entscheidungen gänzlich fehlen.
Eine Rechtspflicht zum Verzicht auf Rechtsmittel widerspräche allen
rechtsstaatlichen Grundsätzen.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Tenor der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.

Nach alledem begründet das Gebrauchmachen von Rechtsmitteln weder einen Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz noch gegen kommunalrechtliche Regelungen.
Anlass, kommunalaufsichtsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, sehe ich daher nicht.


Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Mindach