Der Detmolder Haushalt 2024, ein Gruselmärchen, kein Wintermärchen - Haushaltsrede Die Linke, Evelin Menne

Die Linke im Rat der Stadt Detmold, Evelin Menne

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

Freundinnen und Freunde,

Ich beginne heute mal ganz undogmatisch und verkünde anlässlich des Detmolder Haushalts 2024:

Der Herr Grigat hat recht!

Und bevor Sie jetzt alle denken: „Nun ist sie ganz durchgeknallt“, nehmen Sie bitte die Gründe für diese meine Feststellung zur Kenntnis.

Denn, Herr Grigat müsste es wissen: Gab´s nicht mal sowas wie Gewaltenteilung, war das nicht ein grundlegendes Prinzip von Demokratie? Und sollten da nicht Jurisdiktion, Legislative und Exekutive streng voneinander getrennt sein?

Aber, bevor jetzt formale Einwände kommen:

Ja, ich weiß sehr wohl, dass der Rat der Stadt Detmold keine Legislative im gesetzgebenden Sinne ist, und die Stadtverwaltung ist keine Exekutive wie die Regierungen in Berlin und Düsseldorf. Aber dennoch: Wenn die Prinzipien der Gewaltenteilung auf kommunale Belange übertragen werden, dann sind Stadtverwaltung und Gemeinderat vergleichbare Institutionen.

Ja, und wenn das alles so ist, dann hat einer wie der Herr Grigat einfach recht, wenn er sagt, dass wir den Rat gleich ganz abschaffen können, denn der kostet nur Geld! (So protokolliert von mir selbst im Jahre 2024 anlässlich der Haushaltsberatungen im Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Detmold.)

Aber was passiert anschließend? Seine Bemerkung provoziert nicht mehr als verständnisvolles Gelächter allerseits. Und niemandem, wirklich niemandem, gruselt es, außer mir!

Und wir wundern uns tatsächlich noch, dass rechtsradikale Kräfte weltweit so auf dem Vormarsch sind? Mir wird kalt und kälter, ist das etwa unser Beitrag gegen die Klimakatastrophe?!

Liegt es daran, dass Demokratie insgesamt so kompliziert, so teuer und dennoch wirkungslos ist? Liegt es daran, dass sie sich selber abschafft, so wie es hier im Rat gerade passiert?

Sollte Demokratie sich nicht immer durch kontroverse politische Diskurse auszeichnen?

Wo konstruktiv um gestaltbare Lösungen gestritten und gerungen wird?

Wo verschiedenste Meinungen aufeinander prallen, wo Kompromisse ausgehandelt, wo Zukunft aktiv mitbestimmt wird?

Aber was passiert stattdessen hier vor Ort?

Die Verwaltung (wie gesagt, sie ist vergleichbar der Exekutive) gibt noch vor der Einbringung des Haushalts vor, dass es für 2024 aus der finanziellen Notlage heraus keine Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Daher schlägt die Verwaltung dem Rat vor (der ja vergleichbar ist mit der Legislative), er möge einheitlich und gemeinschaftlich über die vorgelegten Konsolidierungsmaßnahmen beschließen und zugleich wegen der Finanznot auf eigene Haushaltsanträge verzichten. Wir sollten demnach den Haushalt 2024 in Form eines so genannten Detmold-Pakts beschließen, und uns somit abheben von den Horrorbildern der zerstrittenen politischen Lager im Bund.

Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, aus Verwaltungssicht ist das alles absolut logisch und vertretbar – manche der Vorschläge sind nachvollziehbar, auf manch wichtige Leistungen wird gerade eben nicht verzichtet. Sogesehen könnte es für uns mit einer anders gestrickten Verwaltung noch sehr viel schlimmer kommen.

Aber nun möchte ich dennoch wieder auf die Gewaltenteilung zurückkommen, die für die Demokratie nun einmal sinnstiftend ist:

Wenn wir als städtisches Parlament ganz darauf verzichten, unsere unterschiedlichen Sichtweisen und Problemlösungen wenigstens zu präsentieren und öffentlich zur Diskussion zu stellen, wenn wir aufgeben, ohne jemals gekämpft zu haben, dann ist das Resignation auf ganzer Breite.

Ich fand das, was letztes Jahr in der Haushaltssitzung des Rates gelaufen ist, schon wirklich schlimm, aber dieses Jahr toppt die Situation noch einmal.

Zur Erinnerung:

Im vergangenen Jahr gab es nach nicht öffentlichen Absprachenvon Aufbruch C/Freie Wähler Detmold, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und CDU einen Antragdieser Ratsmehrheit, der - Debatten verhindernd - den Rat in buchstäblich letzter Minute vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Die SPD, stets der Haushaltszustimmung verpflichtet, hat bewiesen, dass sie sich einem solchen Vorgehen nicht widersetzt, sondern unterwirft. Denn wer zunächst bei einem so relevanten Personalantrag eine Gegenrede hält und dann dem Gesamtentwurf trotzdem zustimmt, arbeitet nicht wirklich interessiert an seiner Glaubwürdigkeit.

Dieses Jahr hat die Verwaltung, obwohl sie selber Getriebene im Strudel der kommunalen Finanznot ist, das Ruder scheinbar wieder in die Hand genommen. Sie hat – und da wiederholt sich was – in nicht öffentlichen interfraktionellen Gesprächen ausführlich die Bedingungen geschildert, denen sie sich unterwirft - und denen wir, die Ratsleute, uns ebenfalls unterwerfen sollen. Sie will damit den Kürzungszwängen sowie den Zwängen zu Gebühren- und Steuererhöhungen, die durch die Unterfinanzierung alternativlos erscheinen, Folge leisten.

Die Stadtverwaltung hat darüber hinaus formell an verschiedenen Stellen, vom Kreis Lippe (Exekutive) bis hin zur Landesregierung (Exekutive) Protest angemeldet bzw. Proteste vom Spitzenverband, dem Städte- und Gemeindebund, unterstützt. Doch was ist ein Anschreiben der Verwaltungsspitze Detmold, also unseres Bürgermeisters, an die Regierung NRW, also an Frau Ministerin Scharrenbach im Heimatministerium denn anderes als ein interner Meinungsaustausch von Exekutive zu Exekutive?

Mit all diesen Aktivitäten hat die Kämmerin Frau Mikus bei der Politik um Verständnis geworben und war dabei nicht erfolglos: Die ganz überwiegende politische Mehrheit in Detmold hat den Vorschlägen der Verwaltung zugestimmt, und damit den Haushalt 2024 gesichert.

Dennoch verstößt ein solches Vorgehen der Verwaltung gegen die grundlegenden Spielregeln der Demokratie. Die Verwaltung erreicht zwar mit dieser Strategie, dass heute ohne großes Brimborium ein Haushalt beschlossen wird.Aber die Wirksamkeit der demokratischen Institutionen an sich wird mit dem Verzicht auf öffentliche Debatten und Anträge infrage gestellt.

Dass es aber überhaupt so weit kommen konnte, das liegt jedoch daran, dass die finanzielle Ausstattung von Kommunen und Kreisen seit Jahren dermaßen auf Kante genäht ist, sodass es vorgeblich keine Handlungsspielräume mehr gibt.

So wird die Demokratie auf der Ebene der Kommunen durch finanzielle Zwänge auch von Seiten des Landes und des Bundes gefährdet. Denn vor allem in den Kommunen merken die Menschen, wie gut unser Staat funktioniert, oder eben auch nicht.

Festzuhalten ist:Weder im Landtag noch im Bundestag gibt esMehrheiten von Seiten der Legislative für die Belange der Kommunen!

Nun soll zwar kein Geld aus Land oder Bund fließen, aber die drohenden Haushaltssicherungen in vielen Kommunen und Kreisen sollen durch taktische Manöver abgewendet werden. Die vorhandenen Rücklagen können infolgedessen ausschweifender aufgebraucht werden.

Aha, da bröckelt wohl zumindest auf kommunaler Ebene die Schuldenbremse! Denn was wird passieren, wenn alle Rücklagen verbraucht sind?

Neue Handlungsspielräume tun sich allerdings so nicht auf, denn es ist zu befürchten, dass sich in den kommenden Jahren nichts verändern wird. Wenn die Einnahmenseite von Bund und Ländern sich nicht endlich durch Umverteilungen von oben nach unten verändert, wiederholt sich das Spiel kontinuierlich zulasten der Menschen im Land.

Geht da vielleicht ein Gespenst um? - Nein, leider, das ist diesmal kein Gespenst in Europa. Das ist ein Zombie, der mit seinem „Weiter so!“, seinem Turbokapitalismus, seinen entfesselten Märkten nicht etwa scheue Rehe schützt, sondern Kälte, Heulen und Zähneklappern verbreitet. Was er befeuert, sind zum Beispiel die Gewinne der Reichen und der Rüstungsindustrie. Seine Steuerpolitik verhindert zugleich eine sozial gerechte Umverteilung von oben nach unten. Seine Dogmen wie die Schuldenbremse bremsen seit Jahren hauptsächlich Investitionen in eine Klimawende, in die Infrastruktur, in Bildung, ins Gesundheits- und Sozialwesen aus. Tatsächlich werden durch eine marode öffentliche Daseinsvorsorge, ebenso wie durch falsche Verkehrspolitik Schulden zulasten der nächsten - oder vielleicht letzten? - Generationen verschleppt.

Derweil sind in aller Welt gefährliche Helfershelfer des Zombies damit beschäftigt, seine zerstörerischen Aktivitäten zu unterstützen und durchzusetzen. Mit ihrer Lügenrhetorik schaffen sie es immer wieder, die Schwächsten in unserer Gesellschaft gegeneinander auszuspielen und aufeinander loszuhetzen, ein Fressen für die Geier. So feiern Vorurteile aller Art, Rassismus, Sexismus und Hass fröhliche Urständ.

Was er niederknüppelt, das sind die Armen und die Minderheiten allerorts. Was er vernichtet, das ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und die Aussichten auf die sozial-ökologische Wende, die die Welt dringend braucht.

Was bleibt nun zu tun?

Wenn die Legislative versagt, gibt es genügend Gründe, hier auch einmal mehr die Judikative ins Spiel zu bringen, und die strukturellen kommunalen Defizite vor den Verwaltungsgerichten zu beklagen. Auch wenn gerichtliche Schritte in der Vergangenheit nicht erfolgreich waren, müssen die kommunalen Spitzenverbände diesen Weg erneut beschreiten:

  • Damit der Herr Grigat nicht recht behält.
  • Damit die demokratisch legitimierte kommunale Selbstverwaltung nicht irgendwann ganz abgeschafft wird.
  • Damit die Kommune nicht den finanziellen Fehlentscheidungen in Bund und Ländern zum Opfer fällt!